Schärfe und Unschärfe
In dieser Folge geht es um Schärfe und Unschärfe. Wie sind diese Begriffe definiert, ab wann ist ein Bild scharf oder unscharf? Was gilt es bei bewegten Objekten zu beachten, und welche Verschlusszeit brauche ich wann für ein scharfes Bild?
Das Spiel von Schärfe und Unschärfe steigert die Aussagedynamik des Bildes.
Aufnahme: Ilka Marchesi
Eine Fotografie muss scharf sein. Das zumindest ist die landläufige Meinung über ein gutes fotografisches Bild. Was verstehen wir jedoch unter dem Begriff «Schärfe» und wer bzw. was ist letztlich dafür verantwortlich? Sogleich stellt sich aber auch die Frage nach dem Begriff «Schärfentiefe» oder ob ein Bild in jedem Fall von vorne bis hinten scharf sein muss, um als «gut» oder «gelungen» zu gelten. Lauter Fragen, mit denen sich die vorliegende Lektion befasst.
Der Zerstreuungskreis
Bei der Scharfeinstellung auf Unendlich ist der Kameraauszug gerade so lang wie
die Brennweite des Objektivs. Das ist einfach zu verstehen: Jeder Gegenstandspunkt reflektiert – sofern er von Licht getroffen wird – ein divergentes (auseinanderlaufendes) Strahlenbündel (siehe Folge 4). Je weiter entfernt sich der Gegenstandspunkt vom Objektiv befindet, umso paralleler erscheint das Strahlenbündel; geometrisch gesehen ist es dann vollständig parallel, wenn der Reflexionspunkt sich wirklich in unendlicher Entfernung befindet. In diesem Fall wird das Parallelbündel durch das Objektiv genau in der Brennebene wieder zu einem Punkt (dem getreuen Abbild des Gegenstandspunktes) konvergiert.
In der fotografischen Optik kann man jeweils dann von unendlicher Aufnahmedistanz sprechen, wenn sich der Gegenstandspunkt außerhalb der 300-fachen
Brennweite befindet. Für diese Entfernung zeigen Objektive auf ihrer Distanz-Einstellskala das für Unendlich gültige Zeichen ∞.
Der Begriff der absoluten Schärfe würde verlangen, dass ein Punkt von beispielsweise 1μm Durchmesser auch tatsächlich durch einen Punkt von ebenfalls 1μm Durchmesser wiedergegeben würde. Der Aufbau der Netzhaut im menschlichen Auge bringt es jedoch mit sich, dass infolge mangelnder Trennschärfe eine beträchtliche Schärfentoleranz besteht. Unter normalen Verhältnissen beträgt diese für eine mittlere Betrachtungsdistanz des Bildes von 30 cm etwa 1/10 mm. Das Auge betrachtet demnach jede «Fläche», die nicht größer als 1/10 mm ist, als absolut scharfen Punkt. Mit anderen Worten wird ein nahezu unendlich kleiner Gegenstandspunkt dann als scharfer Bildpunkt wiedergegeben, wenn er auf dem endgültigen Bild das Ausmaß von 1/10 mm nicht übersteigt.
Das Auge arbeitet ähnlich wie eine Kamera: Die Augenlinse entspricht dem Objektiv,
die Netzhaut der Mattscheibe bzw. der Filmebene bzw. Bildebene. Um Gegenstände auf verschiedene Distanzen scharf zu sehen, verändert jedoch das Auge nicht den Auszug – wie dies bei der Kamera geschieht – es verändert vielmehr durch Muskelzug den Krümmungsradius der Linse. Das geht derart rasch vor sich, dass im Gehirn der Eindruck entsteht, das Auge sehe auf jede beliebige Distanz gleichzeitig scharf. Dass dem nicht so ist, verdeutlicht folgendes Experiment:
Strecken Sie den Arm waagrecht aus und halten Sie den Daumen lotrecht auf. Schauen Sie jetzt einmal auf die Fingerspitze und dann wieder auf das dahinter sich befindende Nachbarhaus. Sie können nicht beides miteinander scharf sehen!
In der Fotografie kann streng genommen ein völlig scharfes Bild auf der Filmebene nur von einer einzigen Gegenstandsebene erzielt werden. Nur von dieser einzigen Gegenstandsebene werden sämtliche Punkte als absolut gleichgroße Bildpunkte wiedergegeben. Alle anderen Punkte, die sich in naher oder weiter liegenden Ebenen befinden, erscheinen nicht mehr als Punkte, sondern als Scheibchen, sogenannte Unschärfe- oder Zerstreuungskreise (u).
In folgender Abbildung ist im Gegenstandsraum ein Parallelbündel (rot) dargestellt, das – von einem unendlich weit entfernten Gegenstand kommend – einen Bildpunkt im Brennpunkt F des Bildraums bildet. Ein näher liegender zweiter Gegenstand sendet ein mehr oder weniger stark divergentes Bündel aus, das weiter hinten einen Bildpunkt bildet. Stellen wir unsere Filmebene auf diesen Punkt ein, wird er absolut scharf abgebildet. Der Gegenstandspunkt, der aus Unendlich kommt und daher näher bei der Linse konvergiert, wird in dieser Einstellebene jedoch als relativ großer Kreis abgebildet, als Unschärfekreis der Größe u.
Begriffserklärung Unschärfekreis
Solange diese Unschärfekreise nicht größer sind als etwa 1⁄10 mm, erachtet sie unser Auge infolge der Schärfentoleranz noch als scharf. Dadurch entsteht der Eindruck, das Bild weise nicht nur eine Schärfenebene, sondern eine Schärfenzone auf. Der noch als scharf wahrgenommene Gegenstandsraum vor und hinter der eingestellten Gegenstandsebene wird als Schärfentiefe (depth of field) bezeichnet. Den Schärfespielraum in der Bildebene bezeichnet man als Abbildungstiefe (depth of focus).
Anmerkung: Der oft noch benutzte Ausdruck «Tiefenschärfe» ist sprachlich unkorrekt, weil es keine «Tiefe in der Schärfe», wohl aber eine «Schärfe in der Tiefe» (Schärfentiefe) gibt.
Die Grenzen dieser Abbildungstiefe nach hinten und nach vorne befinden sich dort, wo die Unschärfekreise noch als Punkte (scharf) und nicht als Flächen (unscharf) wahrgenommen werden. Der Unschärfekreis wird dann als Punkt wahrgenommen, wenn er dem menschlichen Auge unter einem Winkel von 2 Bogenminuten oder weniger erscheint. Setzt man als Betrachtungsdistanz eines fertigen Bildes den normalen Bildbetrachtungsabstand (entsprechend der Bilddiagonalen, sofern das Bild mindestens 18 x 24 cm gross ist) ein, so ergibt sich eine zuläßige Unschärfekreisgröße auf dem Negativ, die 1⁄1719 der normalen Brennweite (N) des entsprechenden Aufnahmeformats (ungefähr der Negativdiagonalen) entspricht.
Definition des Unschärfekreises
Zulässige Zertreuungskreisgrößen
Format | u (1/1500 f) | u (1/2000 f) |
24 x 36 mm | 0,033 mm | 0,025 mm |
6 x 6 cm | 0,060 mm | 0,040 mm |
6 x 9 cm | 0,075 mm | 0,053 mm |
4 x 5 inch | 0,100 mm | 0,075 mm |
13 x 18 cm | 0,150 mm | 0,105 mm |
Zur Berechnung der Abbildungstiefe und der Schärfentiefe hat man früher den Grenzwert u auf 1/1500, heute auf 1/2000 der Normalbrennweite (ungefähr Diagonale des Aufnahmeformats) festgelegt. Mit diesen Werten sind die Schärfentiefe-Tabellen
und Schärfentiefe-Skalen an den Einstellfassungen der Kameras berechnet. Der Unterschied zwischen u 1/1500 mm (alt) und u 1/2000 mm (neu) macht in den Schärfetiefe-Skalen gerade eine Blendenstufe aus. Allerdings sind dies nur Annäherungswerte, die überdies bei Teilvergrößerungen nicht mehr stimmen. Sie können sich dies gut vorstellen: Vergrößert man ein Kleinbildnegativ dreimal linear, so wird das Bild etwa 9 x 12 cm groß. Ein Unschärfekreis, der auf dem Negativ (oder Sensor) die Größe 1/30 mm aufwies, hat jetzt einen Durchmesser von 1/10 mm. Damit ist die Grenze der Schärfentoleranz erreicht. Vergrößert man das Bild auf das Endformat 50 x 60 cm, wird dadurch der einzelne Bildpunkt zwar erheblich größer, die Schärfentiefe-Wirkung hingegen ändert sich nicht, denn das größere Bild wird ja auch aus einer entsprechend größeren Betrachtungsdistanz angeschaut; am Betrachtungswinkel für den einzelnen Bildpunkt hat sich nichts geändert.
Macht man dagegen eine Ausschnittvergrößerung, deren Ausschnitt einer Größe von 9 x 12 cm entspricht, das ganze Negativ (oder der Datensatz) aber eigentlich auf 50 x 60 cm vergrößert wurde, stimmen die Verhältnisse nicht mehr. Jetzt scheint der ausgenützte Schärferaum bedeutend kleiner geworden zu sein, da der kleine Ausschnitt aus einer für den eigentlichen Vergrößerungsmaßstab viel zu geringen Distanz betrachtet wird.
Grundsätzlich kann man jedoch sagen: Ist die Schärfe eines Negativs oder Datensatzes für die Vergrößerung auf das Format 18 x 24 cm genügend, ist sie es auch für jeden anderen Vergrößerungsmaßstab, sofern man keine Ausschnitte herausvergrößert.
Schärfentiefe
Wiederholen wir jetzt das kleine Experiment und strecken erneut den Arm mit erhobenem Daumen aus. Dabei schauen wir abwechselnd zur Fingerspitze und zum Nachbarhaus. Halten wir nun ein Blatt Papier vor das Auge, in dessen Rand mit dem Bürolocher ein kreisrundes Loch gestanzt wurde, und schauen wir Finger und Nachbarhaus durch diese kleine «Blende» an.
Was stellen wir fest?
Ist das Loch (die Blende) nur klein genug, erkennen wir Finger und Haus – trotz großem Distanzunterschied – gleichzeitig scharf. Gleiches wie in diesem Experiment geschieht in der Fotografie. Es dürfte den meisten Lesern bekannt sein, dass die Schärfentiefe mit zunehmender Abblendung wächst.
Schärfentiefe
Die Erklärung zur Schärfentiefe findet sich in obiger Abbildung: Konstruiert sind Strahlen, die von zwei verschieden weit entfernten Gegenstandspunkten A und B die entsprechenden Bildpunkte A‘ und B‘ bilden. Scharf eingestellt ist auf Punkt A. Für den Punkt B bildet sich auf der Filmebene ein relativ großer Unschärfekreis. Blendet man nun zunehmend ab, verkleinert sich der Winkel der beiden Strahlenbündel. Unter sonst gleichen Verhältnissen wird in der Filmebene der Gegenstandspunkt B als bedeutend kleinerer Unschärfekreis dargestellt. Ist dieser nicht größer als die zuläßige Toleranz, liegt der Gegenstand B innerhalb der Schärfentiefe, beziehungsweise das Bild B‘ innerhalb der Abbildungstiefe. Es ist leicht ersichtlich, dass bei kleiner Blende der Unschärfekreis kleiner ist als bei grosser und die Schärfentiefe daher zunimmt.
links: Aufnahme mit offener Blende (kleine Blendenzahl): Geringe Schärfentiefe. rechts: Aufnahme mit kleiner Blende (große Blendenzahl): Große Schärfentiefe.
Einfluss von Brennweite und Gegenstandsentfernung
Aus Erfahrung wissen wir: Ein Objektiv mit kurzer Brennweite ergibt bei gleicher Aufnahmedistanz eine größere Schärfentiefe als ein langbrennweitiges Objektiv. Die beiden folgenden Abbildungen verdeutlichen diese Behauptung. Gezeichnet sind zwei Objektive mit «langer» und «kurzer» Brennweite. In beiden Fällen befinden sich im Gegenstandsraum zwei gleich weit entfernte Gegenstandspunkte A und B. Die Filmebene wurde auf den Bildpunkt A‘, das heisst auf den weiter entfernten Gegenstand, gelegt. Der Gegenstandspunkt B bildet auf der Filmebene einen Unschärfekreis. Die Konstruktion macht deutlich, dass unter sonst völlig gleichen Voraussetzungen der Unschärfekreis bei kürzerer Brennweite kleiner wird. Die zweite Konstruktion macht deutlich, dass der Unschärfekreis ebenfalls kleiner wird, wenn sich die Aufnahmedistanz unter sonst gleichen Voraussetzungen vergrößert.
Abhängigkeit der Schärfentiefe von der Brennweite: Bei kürzerer Brennweite (unten) ist die Schärfentiefe grösser als bei längerer Brennweite (oben).
Abhängigkeit der Schärfentiefe von der Gegenstandsentfernung:
Bei größerer Aufnahmedistanz (oben) ist die Schärfentiefe größer als bei kürzerer Aufnahmedistanz (unten).
Da Aufnahmedistanz und Brennweite zusammen den Abbildungsmaßstab ergeben, kann man schließlich folgern: Die Schärfentiefe ist abhängig von relativer Öffnung (Blendenzahl) und Abbildungsmaßstab (je kleiner der Abbildungsmaßstab, umso größer ist die verfügbare Schärfentiefe). Ferner ist die Schärfentiefe natürlich abhängig von der Grösße der zulässigen Schärfentoleranz, das heißt von der Größe des Unschärfekreises.
Zusammenfassung Schärfentiefe-Regeln
Abblendung
Bei gleicher Brennweite und gleicher Aufnahmedistanz ist die Schärfentiefe bei kleiner relativer Öffnung (große Blendenzahl) größer als bei großer relativer Öffnung (kleine Blendenzahl).
Brennweite
Bei gleicher relativer Öffnung und gleicher Aufnahmedistanz ist die Schärfentiefe bei kurzer Brennweite größer als bei langer Brennweite.
Aufnahmedistanz
Bei gleicher relativer Öffnung und bei gleicher Brennweite ist die Schärfentiefe bei großer Aufnahmedistanz größer als bei kleiner Aufnahmedistanz.
Abbildungsmaßstab
Je kleiner der Abbildungsmaßstab, umso größer ist die verfügbare Schärfentiefe.
Schärfentiefe und Sensorgröße
Bei gleichem Aufnahmewinkel und gleichem Aufnahmestandort benötigen kleinere Sensoren kürzere Objektivbrennweiten. Kürzere Brennweiten ergeben unter sonst gleichen Voraussetzungen eine größere Schärfentiefe. Weisen daher Bilder, welche mit kleineren Sensoren erstellt wurden eine größere Schärfentiefe auf? Auch wenn diese für das gleiche Endformat stärker vergrößert werden müssen?
Die Frage ist ganz klar mit JA zu beantworten, weil die Zerstreuungskreisgröße beim kleineren Sensor ebenfalls entsprechend reduziert ist. So beträgt die zulässige Zerstreuungskreisgröße u:
• Vollformat 24 x 36 mm u = 0,025 mm (Normalbrennweite 50 mm)
• APS-C Sensor 15 x 22 mm u = 0,014 mm (Normalbrennweite 28 mm)
Machen wir mit beiden Sensorgrößen und den jeweiligen Normalbrennweiten vom genau gleichen Standort aus je eine Aufnahme und stellen mit Blende 11 auf 3 m scharf, so betragen die hyperfokalen Distanzen (Distanz von Kamera bis zum Nahpunkt, welcher bei Scharfeinstellung auf Unendlich gerade noch scharf erscheint
Vollformat 24 x 36 mm 9092 mm
APS-C 15 x 22 mm 5092 mm
Erklärung der hyperfokalen Distanz
Formel zur Berechnung der hyperfokalen Distanz b
Hinweis: Stellt man statt auf Unendlich auf den Nahabstandspunkt Pb scharf, reicht die Schärfe von Unendlich bis zur halben hyperfokalen Distanz (Fixfokus-Einstellung).
Bereits aus der hyperfokalen Distanz erkennen wir die größere Schärfentiefe beim kleineren Sensorformat. Rechnen wir daraus für beide Formate die gesamte Schärfentiefe aus, erhalten wir eine totale Schärfentiefe bei
Vollformat 24 x 36 mm 2175 mm = 2,175 m
APS-C 15 x 22 mm 5312 mm = 5,312 m
Formeln zur Berechnung der gesamten Schärfentiefe
Die obigen Überlegungen beziehen sich ausschließlich auf die Schärfentiefe. Das kleinere Sensorformat weist die deutlich höhere Schärfentiefe auf. Das ist indessen nicht nur vorteilhaft, weil es dadurch schwieriger wird, präzis mit Schärfe und Unschärfe zu gestalten.
Kleinere Sensorformate weisen bei gleicher Pixelanzahl stärkeres Rauschen und intensiveres Aliasing auf, was nach stärkerer Tiefpassfilterung oder Oversampling ruft. Die dadurch entstehende Unschärfe muss anschließend wieder kompensiert werden, was einen sehr rechenintensiven Algorithmus im Bildprozessor benötigt und der absoluten Punktschärfe nicht förderlich ist.
Die beste Einstelldistanz
Betrachten wir irgend eine Fotografie, stellen wir fest, dass sich vom eigentlich scharf eingestellten Punkt die Schärfezone gegen den Hintergrund über einen größeren Raum ausbreitet als gegen den Vordergrund. Und zwar breitet sich bei Einstellung auf eine bestimmte Distanz die Schärfe nach hinten etwa um 2/3, nach vorn aber nur um etwa 1/3 aus. Die Ursache für dieses Phänomen ist aus folgender Abbildung ersichtlich.
Beste Einstellung für einen bestimmten Schärferaum: Die Schärfe wächst vom Scharfeinstellpunkt aus um 1/3 in den Nahbereich und um 2/3 in den Fernbereich (Faustregel stimmt im Nahbereich nicht).
Die beste Einstellung befindet sich für einen bestimmten Schärferaum dort, wo sich im Bildraum die Unschärfekreise u für den nächsten scharf erscheinenden Punkt Pv und den hintersten scharf erscheinenden Punkt Ph genau überdecken. Für den Kameraauszug a‘ ist dies genau in der Mitte zwischen den punktscharfen Abbildungen Pv‚ und Ph‚. Konstruiert man für diesen Punkt P‘ den entsprechenden Punkt P im Gegenstandsraum, so stellt man fest, dass er sich im ungefähren Verhältnis 1/3 zu 2/3 zwischen Pv und Ph befindet.
Will man in der Praxis einen bestimmten Schärferaum abbilden, muss man etwa auf das erste Drittel der erforderlichen Schärfeausdehnung scharf stellen und dann so stark abblenden, bis der nächste und der entfernteste Punkt scharf erscheinen. Doch Vorsicht: Bei dieser Regel handelt es sich um eine Faustregel, die für größere Aufnahmedistanzen genügend genau ist, die jedoch im fotografischen Nahbereich versagt. Folgende Formeln zur Bestimmung der besten Einstelldistanz a können hilfreich sein:
Bestimmung der besten Einstelldistanz
Bestimmung der Abblendung
Sobald die richtige Einstelldistanz ermittelt ist, kann man langsam abblenden und auf der Mattscheibe (bei gedrückter Abblendtaste) entweder den nächsten oder den entferntesten Punkt beobachten. Die richtige Arbeitsblende ist dann erreicht, wenn der beobachtete Punkt scharf erscheint. Diese nicht so präzise Methode ist nur dann notwendig, wenn keine entsprechenden Hilfen wie Schärfentiefe-Skalen am Aufnahmeobjektiv vorhanden sind.
Die Schärfentiefe-Skala, wie sie an den allermeisten Objektiven mit Fixbrennweite vorhanden ist, gibt gegenüber der Distanzskala die Schärfezone für verschiedene Blendenwerte an. Dazu werden einfach auf der Distanzskala die Werte abgelesen, welche zwischen den gleichen Blendenwerten links und rechts der Einstellmarke liegen. Die Angaben beziehen sich immer auf eine Unschärfekreisgröße u, die vom verwendeten Kameraformat abhängig ist.
links: Schärfentiefe-Skala an einem Canon-Objektiv. An der Distanzskala kann die Schärfentiefe links und rechts der Einstellmarke bei den korrespondierenden Blendenpaaren abgelesen werden. Die Schärfentiefe im abgebildeten Beispiel reicht bei Blende 11 von 3 m bis Unendlich ∞.
rechts: Schärfentiefe-Optimator an einer Linhof-Fachkamera. Mit farbigen Blendenskalen an einem Schleifring lassen sich für einen gegebenen Schärferaum die beste Einstelldistanz bestimmen und die zur Schärferaum-Bewältigung notwendige Abblendung ablesen.
Viele Kleinbildfotografen vernachlässigen diese Einstellart zu oft. Dabei weist nahezu jedes Objektiv (mit Ausnahme von Vario-Objektiven) eine mehr oder weniger gut ablesbare Schärfentiefeskala auf. Die Technik ist einfach: Man stellt zuerst fest, von wo bis wo die Schärfe reichen soll. Durch kurzen Blick auf die Einstellskala am Objektiv ermittelt man, auf welche Distanz dazu eingestellt werden muss und welche Blende notwendig ist. Dies wird sofort eingestellt, bevor man die Kamera wieder ans Auge nimmt. Der Aufnahmeraum wird dadurch genau in der Art scharf, wie es der Fotograf an seiner Kamera bewusst eingestellt hat, obwohl das Bild im Spiegelreflexsucher jetzt möglicherweise nicht mehr scharf erscheint.
Gelegentlich mag der Abblendknopf hilfreich sein, um festzustellen, von wo bis wo die Schärfe bei einer bestimmten Blendeneinstellung reicht. Allerdings wird durch das manuelle Abblenden das Sucherbild so dunkel, dass es meistens unmöglich ist, den Schärferaum wirklich zu überblicken.
Für mich ist es unerklärlich wie unwichtig die Bildgestaltung mit der Schärfentiefe von den Kameraherstellern eingestuft wird. Fast alle Systemkameras haben zwar eine Möglichkeit zur diesbezüglichen Berechnung über den Kameraprozessor. Die Erfassung der gewünschten Scharfpunkte ist jedoch nur mit seltsamen Kapriolen möglich. In der (analogen) Canon EOS-Serie hatte es früher einmal ein einziges Modell gegeben, das mit der Schärfentiefe so umgeht, wie ich es mir wünschte: Man tippt nacheinander die beiden Grenzen der gewünschten Schärfentiefe kurz an. Die Automatik stellt dann selbsttätig auf die beste Einstelldistanz ein und blendet das Objektiv auf die für diesen Schärferaum notwendige Blende ab.
Schärfenausgleich nach Scheimpflug
Für eine große Aufnahmedistanz benötigt man einen kleineren Kameraauszug als für eine geringe Aufnahmeentfernung. Um einen nahen Bildvordergrund gleichzeitig mit einem fernen Hintergrund scharf abzubilden, müsste daher für den nahen
Bildvordergrund ein größerer, für den fernen Bildhintergrund jedoch gleichzeitig ein kleinerer Kameraauszug erstellt werden.
Diese auf den ersten Blick diametrale Forderung lässt sich mit einer beweglichen Fachkamera, die auf dem Prinzip der optischen Bank arbeitet, erfüllen. Echte Fachkameras sind derart gebaut, dass auf einer optischen Bank eine sogenannte Objektivstandarte und eine Filmstandarte gegeneinander verschiebbar sind. Die Standarten sind mit einem Balgen verbunden und mittels eines Mechanismus schwenkbar gestaltet; die postulierte Forderung lässt sich dadurch einfach erfüllen.
Die Schärfe über eine Gegenstandsebene ist dann bereits bei offener Blende ausgeglichen, wenn sich die drei an der Aufnahme beteiligten Ebenen, nämlich Gegenstandsebene, Objektiv- und Filmebene, in einer gemeinsamen Schnittkante treffen. Dieses nach seinem Erfinder benannte Scheimpflug’sches Gesetz ermöglicht es, in der Sachfotografie auch kleine Gegenstände vollständig scharf abzubilden; etwas, was mit starren Kameras nicht möglich wäre.
Schärfeausgleich nach Scheimpflug:
Die Schärfe ist über eine Gegenstandsebene selbst bei offener Blende ausgeglichen, sofern sich die Verlängerungen der Gegenstandsebene, der Objektivebene und der Bildebene in einer gemeinsamen Schnittkante treffen.
Bei dreidimensionalen Gegenständen oder Anordnungen legt man vorzugsweise die Schärfeebene allerdings nicht horizontal, sondern (doppelt schief) je nach Gegenstand, von hinten links oben bis vorn unten rechts. Darauf nimmt der Fotograf bereits beim Arrangement des Sujets Einfluss.
links: Formatfüllende Aufnahme bei starker Abblendung auf 22.
rechts: Formatfüllende Aufnahme mit Blende 8 bei Anwendung der Scheimpflug’schen Regel (doppelter Schärfeausgleich über schief liegende Ebene).
Das Doppelbild demonstriert, dass es mit starrer Kamera selbst bei stärkster Abblendung nicht möglich ist, einen Kleingegenstand in der Größe einer Streichholzschachtel bei formatfüllender Einstellung scharf zu erfassen (linkes Bild). Möglich ist dies nur durch den doppelten Schärfeausgleich mit Hilfe einer beweglichen Fachkamera oder annähernd mit einem Tilt-Objektiv.
Hervorragende Resultate sind dann erzielbar, wenn man eine doppelt schief liegende Fläche als Einstellebene benutzen kann. Der Schärfeausgleich erfolgt dann durch doppelte Schwenkung um die Vertikal- und die Horizontalachse. Die Wahl einer solchen doppelt schief liegenden Einstellebene und die korrekte Ausführung des «doppelten» Schärfeausgleichs gehörte früher zur professionellen Fotografie-Ausbildung.
Geschieht der Schärfeausgleich lediglich durch Schwenken der Filmebene, verändert sich die Perspektive aus Gründen der veränderten Bildprojektionslage. Ein Ausgleich allein mit der Objektivebene lässt dagegen keine perspektivischen Veränderungen entstehen.
Mit sogenannten Shift- und Tilt-Objektiven können die ungewöhnlichen Möglichkeiten der Fachkamera in begrenztem Rahmen auch mit der Kleinbildkamera ausgeführt werden, sofern der Hersteller solche Objektive liefert. Bei den ganz grossen Herstellern wie Nikon und Canon ist dies der Fall. (Siehe dazu auch Folge 7.)
Schlaumeier versuchen manchmal die optischen Gesetze zu umgehen, indem sie beim Fotografieren von Kleingegenständen einfach einen geringeren Abbildungsmaßstab wählen, das heißt, mit ihrer Kamera weiter weg gehen, um so bei gleicher Blende einen größeren Schärfentiefe-Raum zu erzielen. Natürlich ist das Selbstbetrug, denn dadurch wird der Gegenstand auf dem Film kleiner abgebildet und bei der nachträglichen Ausschnittvergrößerung wird der Unschärfekreis und das Beugungsscheibchen wieder auf dieselbe Größe erweitert, wie man sie auch bei formatfüllender Aufnahme gehabt hätte. Obwohl diese Tatsache logisch ist, glaubt sie lange nicht jeder, nicht mal jeder Profi …
Einfluss der Beugung
Durch zunehmende Abblendung wächst zwar die Schärfentiefe, doch kommt dabei ein weiteres optisches Phänomen zum Zug: Die Beugung. Jede nicht durch Brechung oder Reflexion bedingte und auch nicht als Streuung zu bezeichnende Abweichung von der geradlinigen Ausbreitung des Lichts bezeichnet man in der Optik als Beugung oder Diffraktion. Sobald sich nämlich einer sich ausbreitenden Lichtwelle etwas in den Weg stellt, entstehen an den Kanten des Hindernisses Störungen in Form neuer Kugelwellen, deren Wellenzüge sich gegenseitig überlagern und daher interferieren. Das ist auch dann der Fall, wenn Licht durch eine sehr kleine Öffnung, zum Beispiel eine kleine Blende treten muss.
Fängt man im Laborversuch das durch eine sehr kleine Blende gelangende Licht auf einem Schirm auf, erkennt man nicht einen kreisrunden Fleck wie zu erwarten wäre, sondern ein sogenanntes Beugungsscheibchen, das mit kleinerer Blendenöffnung ständig größer wird. Infolge gegenseitiger Interferenz (Wellenstörungen) der an den Kanten entstandenen neuen Wellenfronten ist das Beugungsscheibchen aus hellen und dunklen Ringen aufgebaut.
Beugung
Im Objektiv werden die Strahlen des Gegenstandspunktes P durch die Linse L1 in ein paralleles Bündel umgewandelt. Die Blende B beschneidet die Randstrahlen und lässt nur die achsnahen Strahlen auf die Linse L2 treten, die ihrerseits das Bündel zum Bildpunkt P‘ konvergiert. Infolge Beugung an der Blendenumrandung entsteht kein ideales punktförmiges Bild, sondern ein von der Mitte zum Rand in seiner Intensität abnehmendes Bildscheibchen, das von dunklen und hellen Ringen umgeben ist.
Die Beugung führt dazu, dass man besonders im Aufnahme-Nahbereich lange nicht so stark abblenden darf, wie man dies zum Erreichen der notwendigen Schärfentiefe eigentlich tun müsste. Den günstigsten Abblendungskompromiss, bei dem der Durchmesser des Beugungsscheibchens gerade nicht größer wird als der zulässige Unschärfekreis, bezeichnet man als Förderliche Blende.
Bei einer zulässigen Unschärfekreisgröße von 0,025 mm (Kleinbildformat) liegt
die Förderliche Blende für einen Abbildungsmaßstab von 1:10 bei 34, für 1:1 bei 19 und für 10:1 bei 3,4! Wird stärker als bis zu diesen Grenzwerten abgeblendet, tritt eine allgemeine Bildunschärfe ein, die meist störender ist als eine zu geringe Schärfentiefe.
Wirkung des Schärfeeindrucks bei starker Abblendung und bei Förderlicher Blende im Massstab 4:1 / links: Blende 32 / rechts: Förderliche Blende 8
Mit Großformatkameras, insbesondere bei kleinen Abbildungsmaßstäben, darf man ohne Nachteile sehr stark abblenden. Landschaftsfotografen mit großformatigen Kameras machen sich diese Tatsache zunutze und erreichen mit sehr starker Abblendung (auch wenn sie die Schärfedehnung nicht beherrschen oder aus anderen Gründen nicht einsetzen) eine nahezu unbegrenzte Schärfentiefe ohne dass dabei Schärfebeeinträchtigungen durch auftretende Beugungserscheinungen wirksam werden.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der Kleinbildfotografie insbesondere im Aufnahme-Nahbereich. Beim Aufnahmemaßstab von 5:1 beispielsweise darf auf keinen Fall mehr als auf 5,6 abgeblendet werden, weil sonst die erreichbare Schärfe sichtbar abfällt. In diesem Maßstabsbereich ist die Schärfentiefe von Natur aus sehr klein und weil man aus Beugungsgründen nicht über die Förderliche Blende abblenden darf, besteht faktisch überhaupt keine Schärfentiefe mehr.
Foto-Stacking
Bei unbewegten Objekten kann man das Prinzip des Foto-Stackings anwenden. Dazu fotografiert man den Aufnahmegegenstand mit auf Stativ fixierter Kamera mehrfach und verschiebt für jede Aufnahme die Aufnahmedistanz geringfügig. Diese Bilder werden im Programm Adobe Bridge markiert und über Werkzeuge > Photoshop > Bild-Dateien in Photoshop-Ebenen laden. Photoshop öffnet sich automatisch und lädt die markierten Bilder in einzelne Ebenen.
In Photoshop danach alle einzelnen Ebenen markieren und dann Bearbeiten > Ebenen automatisch ausrichten. Im folgenden Dialogfenster den Button Auto aktivieren. Danach immer noch in Photoshop Menü Bearbeiten > Ebenen Automatisch überblenden. Im folgenden Dialogfenster Bilder stapeln und Nahtlose Töne und Farben wählen.
Das hochentwickelte Programm rechnet die einzelnen Schärfe-Ebenen zu einem Bild zusammen, das von vorn bis hinten absolut scharf erscheint.
Stacking-Bilder in Bridge auswählen und über Werkzeuge > Photoshop > Bild- Dateien in Photoshop-Ebenen laden.
Photoshop öffnet sich automatisch und lädt die markierten Bilder in einzelne Ebenen. Danach alle einzelnen Ebenen markieren und dann Bearbeiten > Ebenen automatisch ausrichten. Im darauf folgenden Dialogfenster den Button Auto aktivieren. Danach immer noch in Photoshop Menü Bearbeiten > Ebenen Automatisch überblenden. Im folgenden Dialogfenster Bilder stapeln und Nahtlose Töne und Farben wählen.
Das in Photoshop fertig gestackte Bild ist trotz großem Abbildungsmaßstab und mit eingehaltener Förderlicher Blende von vorne bis hinten und oben bis unten völlig scharf.
Verschlusszeit
Für die Belichtung ist neben der Blende ebenso die Verschlusszeit maßgebend. Soll eine schnelle Bewegung eingefroren und somit «scharf» dargestellt werden, muss die Verschlussgeschwindigkeit der Bewegungsgeschwindigkeit des Aufnahmeobjekts angepasst werden. Dabei kommt es nicht nur auf die eigentliche Ablaufgeschwindigkeit an, sondern ebenso auf dessen Ablaufwinkel zur Aufnahmeachse, auf die Aufnahmedistanz und die verwendete Objektivbrennweite.
Vor allem in der Sportfotografie kommen Lichtverhältnisse vor, die bei bestem Willen die notwendigen kurzen Belichtungszeiten verunmöglichen. Trotzdem lassen sich dabei Bewegungen einfrieren, indem man darauf achtet, die Bewegung auf der Aufnahmeachse verlaufen zu lassen. Man positioniert sich dazu so, dass die Bewegung auf die Kamera zu oder von ihr weg verläuft. Im Gegensatz zu Bewegungen, die quer zur Aufnahmeachse verlaufen, sind so Belichtungszeiten möglich, die um zwei Stufen länger sein dürfen.
Weil Schlitzverschlüsse keine «real-time-Verschlüsse» sind und der Verschlussablauf auch für sehr kurze Expositionszeiten länger dauert als die effektiv eingestellte Zeit, sind quer zur Aufnahmerichtung schnell ablaufende Bewegungsvorgänge nicht unbedingt scharf. In diesem Fall hilft das Mitziehen der Kamera. Dazu zieht man die Kamera während der Verschlussauslösung gleichmäßig in der Bewegungsrichtung des Objekts mit und achtet darauf, den Aufnahmegegenstand im Sucher immer am gleichen Ort zu behalten. Im richtigen Moment löst man während des Mitziehens aus.
Die folgende Tabelle soll einige Anhaltswerte liefern. Die Belichtungszeiten gelten bei stabilisierter Kamera oder eingeschaltetem Bildstabilisator.
Text und Abbildungen © by Jost J. Marchesi
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