Astigmatismus und Bildfeldwölbung
Nachdem es in der letzten Folge um die chromatischen und sphärischen Abbildungsfehler ging, ist diesmal der Astigmatismus und die Bildfeldwölbung Thema. Mit dabei: Testmethoden vom Siemensstern zur Modulationsübertragungs-Funktion.
Meistens fällt uns – wie in diesem Bild – nicht auf, dass sich die Schärfe auf einen relativ breiten Mittelbereich des Bildes konzentriert und gegen die Bildränder und -ecken häufig ein deutlicher Schärfeabfall zu verzeichnen ist.
Die letzte Folge 9 hat uns für Abbildungsfehler unserer Objektive sensibilisiert und vorerst die einfach verständlichen chromatischen und sphärischen Abweichungen und ihre Folgen in der Fotografie aufgezeigt. Eigentlich würden diese beiden Fehlerfamilien für das Grundverständnis genügen; doch die sphärischen Abweichungen sind so vielfältig, dass es Sinn macht, sie noch weiter zu spezifizieren und darum befassen wir uns in der vorliegenden Folge mit den restlichen – auf der sphärischen Aberration basierenden – Folgefehlern.
Astigmatismus
Fällt von einem Gegenstandspunkt außerhalb der optischen Achse ein Strahlenbündel auf eine Linsenfläche, so erfolgt in der senkrechten Ebene eine andere Brechung als in der waagrechten. Der Grund dieses schwerwiegenden Fehlers (Astigmatismus, Zweischalenfehler, Punktlosigkeit) ist einfach zu begreifen, sofern die in der letzten Folge beschriebene sphärische Abweichung bekannt ist: Ein auf der Linsenachse liegender Punkt erzeugt ein dreidimensionales divergentes Bündel, das auf der Linse einen kreisförmigen Ausschnitt bildet. Nicht so das Bündel eines achsfernen Punkts. Dieses erzeugt auf der Linse einen elliptischen Schnitt.
Schiefe Bündel (P1) erzeugen auf der Linse einen elliptischen Schnitt.
Es ist nun leicht einzusehen, dass die Strahlen der senkrechten, längeren Schnittebene (Meridianschnitt M) einer stärkeren sphärischen Aberration unterworfen sind als diejenigen der waagrechten, kürzeren (Sagittalschnitt S).
Selbst wenn in einem optischen System die sphärische Aberration für den vollständigen Bildwinkel korrigiert ist, tritt für schiefe Bündel immer noch Astigmatismus auf. Um die Auswirkungen zu verstehen, betrachten wir in dreidimensionaler Ansicht ein solches schiefes Bündel und schalten in Gedanken alle Strahlen aus, ausgenommen diejenigen, die in senkrechter und waagrechter Ebene liegen.
Astigmatismus
Die senkrechten, meridionalen Strahlen (blau in unserer Abbildung) werden stärker gebrochen und erzeugen das Bild (P‘m) näher bei der Linse als die waagrechten (rot gezeichnet), sagittalen Strahlen (P‘s). Anstelle einer punktförmigen Abbildung des Gegenstandpunktes entstehen in der Bildebene zwei zueinander senkrecht stehende Linien in zwei unterschiedlichen Ebenen.
Da in Tat und Wahrheit für den Bildaufbau natürlich das gesamte Bündel verwendet wird und nicht nur unsere gedanklich ausgewählten meridionalen und sagittalen Schnitte, entstehen in der Praxis entsprechende Unschärfegebilde. Bei einer einfachen Linse, die in jedem Fall mit Astigmatismus behaftet ist, wirkt sich der Fehler bei der Scharfeinstellung verheerend aus. Bei Scharfstellung auf vertikal liegende Strukturen ist der Kameraauszug kürzer als bei Einstellung auf waagrecht liegende Linien. Fotografiert man ein Drahtgitter, sind somit ausserhalb der optischen Achse je nach Kameraauszug entweder die horizontalen oder die vertikalen Drähte scharf, nie jedoch beide zusammen.
Versuch auf der optischen Bank: Es wird ein Gitterdia durch eine einfache Linse auf den Schirm projiziert. Die Linse ist in einem Winkel von ca. 45° auf der Bank montiert. Dadurch fallen die Strahlen der Projektionslichtquelle schräg auf die Linse, wodurch ein schief einfallendes Strahlenbündel für die gesamte Linsenfläche simuliert wird. Infolge des starken astigmatischen Fehlers ist es nicht möglich horizontale und vertikale Strukturen gleichzeitig scharf zu stellen. Durch Auszugsveränderung kann man entweder auf die senkrechten oder die waagrechten Strukturlinien scharf stellen.
Da Astigmatismus auf der optischen Achse nicht auftritt, sind in unserem Drahtgittermodell in der Bildmitte beide Drahtausrichtungen scharf abgebildet; nach aussen nimmt die Schärfe jedoch für eine der beiden Ausrichtungen drastisch ab.
Testtafelaufnahme (Ausschnitt Bildecke rechts oben). Links: Objektiv ohne astigmatische Korrektur (Astigmat). Rechts: Objektiv mit astigmatischer Korrektur (Anastigmat)
Astigmatismus kann – infolge zunehmender Schärfentiefe – durch Abblenden zwar gemildert, jedoch nicht beseitigt werden. Soll der Fehler gleichzeitig mit sphärischer und chromatischer Aberration korrigiert werden, so muss wiederum eine Kombination aus Sammel- und Zerstreuungslinsen eingesetzt werden. Die Zerstreuungslinse muss dabei einen kleineren Brechungsindex aufweisen als die Sammellinse, das Glas mit dem kleineren Brechungsindex gleichzeitig aber größere Dispersion besitzen.
Die Herstellung solcher Gläser gelang erstmals im Jahr 1886 der Glashütte Schott in Jena. Erst von diesem Zeitpunkt an wurde es möglich, Objektive herzustellen, die frei von Astigmatismus sind. Solche Objektive bezeichnen wir als Anastigmate. Etwas vereinfacht kann man sagen, alle Objektive mit Baujahr vor 1900 sind mit Astigmatismus behaftet, heißen deshalb Astigmate und haben nur noch historische Bedeutung.
Astigmatismus ist auch beim menschlichen Auge ein oft vorkommender Fehler, der dort vorwiegend durch eine Hornhautverkrümmung hervorgerufen wird. Wenn Kinder vermehrt über Kopfschmerzen klagen, kann dies ein Indiz für ein auftretender Astigmatismus sein, der ein unbewusstes, dauerndes Schärfeflimmern verursacht.
Bildfeldwölbung
Verfolgt man die Abbildungen sämtlicher Punkte eines plan liegenden Gegenstandes, stellt man fest, dass die achsfernen Punkte näher bei der Hauptebene abgebildet werden als die achsnahen. Das entstehende Bild ist nicht plan, sondern schalenförmig.
Bildfeldwölbung: Das Bild ist nicht plan, sondern schalenförmig.
Da sich der Astigmatismus in der Nähe der optischen Achse kaum, nach den Bildrändern hin aber sehr stark auswirkt, entstehen zwei Bildschalen: Eine meridionale Bildschale als Summe aller Bildpunkte, die sich aus dem Meridionalschnitt ergeben, und eine sagittale als Summe aller Bildpunkte aus dem Sagittalschnitt. Beide Bildschalen berühren sich auf der optischen Achse.
Meridionale und sagittale Bildschale
Durch die Korrektur des Astigmatismus fallen beide Bildschalen zu einer gemeinsamen, der Petzvalschale, zusammen; die Auswirkungen der Bildfeldwölbung sind dadurch jedoch nicht behoben.
Da wir plane Filme bzw. Sensoren benützen, genügt es nicht, die beiden astigmatischen Bildschalen zu vereinigen. Vielmehr müssen sie zu einem Bildfeld, einer Bildebene geebnet werden. Es gibt in der Entwicklungsgeschichte auch Versuche mit Uhrenglas ähnlichen, gewölbten Filmen, um trotz Bildfeldwölbung ein scharfes Bild über das gesamte Bildfeld zu erreichen. Derartige Versuche muteten aber auch zu jener Zeit eher skurril an.
Bei modernen Anastigmaten sollte die Bildfeldwölbung zusammen mit dem Astigmatismus für ein größeres Feld – im Idealfall über den gesamten Bereich des ausnutzbaren Bildwinkels – beseitigt sein. Bei Einzellinsen oder einfachen Objektiven ist dagegen eine Ebnung des Bildfeldes nicht realisierbar.
Die Korrektur gelingt selbst bei modernen und teuren Objektiven nicht über den gesamten Bildkreis absolut vollkommen, was sich zum Beispiel in der Fachfotografie bei starken Verschiebungen an den Fachkameras noch auswirken kann. Wie viele andere optische Fehler kann der Einzelfehler auch bei gut korrigierten Objektiven wieder in Erscheinung treten, wenn diese in einem anderen, durch die Korrektur nicht vorgesehenen Abbildungsmaßstab eingesetzt werden.
Stellt man an einem Objektiv, das zur Reproduktion planer Vorlagen eingesetzt wird, noch einen Rest von Bildwölbung fest, so empfiehlt es sich, die Scharfeinstellung mittig zwischen Bildzentrum und Bildrand vorzunehmen, um mit Sicherheit bei entsprechender Arbeitsblende eine größtmögliche Bildschärfe zu erzielen. Dieser Fall kann eintreten, wenn ein großes, nicht abhängbares Gemälde oder ein Fresko in einem Museum aus architektonischen Gründen mit Hilfe starker Parallelverschiebung von Objektiv- gegen Bildstandarte mit einer Fachkamera reproduziert werden soll (und wir dadurch mit der Randpartie des Bildwinkels arbeiten müssen).
Verzeichnng
Von Verzeichnung (Distorsion) sprechen wir, wenn ein Gegenstand nicht über das gesamte Bildfeld geometrisch gleich, sondern an den Bildrändern verzogen wiedergegeben wird. Ein einfaches optisches System weist nicht über das gesamte Bildfeld denselben Abbildungsmaßstab auf. Die dadurch entstehende Verzeichnung ist durch die sphärische Aberration zusammen mit der Anordnung der Blende bedingt.
Die Blende spielt in der fotografischen Abbildung eine große Rolle – sind doch die einzelnen, das Bild aufbauende Punkte nichts anderes als kleine Bilder der Blende. Selbst wenn die sphärische Aberration behoben ist – was vollständig nur für bestimmte, meist große Aufnahmedistanzen möglich wird – ist der Fehler für sehr nahe Objekte, wie die Blende, noch vorhanden. Die Blende wird durch innere und äußere Linsenzonen jedoch in recht verschiedenen Entfernungen abgebildet.
Tonnenförmige Verzeichnung
Steht die Blende vor dem Objektiv, entsteht tonnenförmige Verzeichnung. Bei dieser Blendenstellung gelangen von den Randpartien des Gegenstandes vorwiegend die steil einfallenden Strahlen zur Abbildung, deren Brennweite infolge sphärischer Aberration kürzer ist als diejenigen der flacher einfallenden Strahlen der Gegenstandsmitte. Die Gegenstands-Randpartie wird deshalb kleiner abgebildet als die Gegenstandsmitte, was zu einer mehr oder weniger starken tonnenförmigen Verzeichnung führt.
Blende vor dem Linsensystem: tonnenförmige Verzeichnung.
Kissenförmige Verzeichnung
Steht die Blende hinter dem Objektiv, entsteht kissenförmige Verzeichnung, das heißt, die Gegenstands-Randpartie wird größer abgebildet als die Mitte.
Hier werden von den Randpartien des Gegenstandes vorwiegend die flach einfallenden Strahlen verwendet, deren Brennweite infolge der sphärischen Abweichung länger ist als diejenige der steiler einfallenden Strahlen der Gegenstandsmitte.
Blende hinter dem Linsensystem: kissenförmige Verzeichnung.
Korrektur
Die Korrektur der Verzeichnung erfolgt naheliegenderweise durch symmetrischen Aufbau zweier Linsensysteme zu einer Mittelblende. Die Blende wirkt dabei für das eine System als Hinterblende (was eine kissenförmige Verzeichnung zur Folge hätte), für das andere aber als Vorderblende (mit der entsprechenden tonnenförmigen Verzeichnung). Beide Verzeichnungseffekte heben sich dadurch gegenseitig auf. Das ist zumindest dann der Fall, wenn Aufnahmedistanz und Kameraauszug gleich lang sind, was nur im Abbildungsmaßstab 1:1 der Fall ist.
Bei unsymmetrischen Objektiven wird die Verzeichnung zusammen mit der sphärischen Aberration auf einen bestimmten Abbildungsmaßstab (oft für Einstellung auf Unendlich bzw. auf große Entfernungen) genügend korrigiert. Lichtstarke Aufnahmeobjektive weisen jedoch bei Aufnahmen im Nahbereich auch heute noch merkliche Verzeichnung auf, ebenso stark asymmetrisch gebaute Systeme wie Teleobjektive, Fisheye-Objektive und ähnliche. Eine starke Verzeichnung zeigen Vario-Objektive vor allem in beiden Endbereichen der Brennweitenverstellung. Dabei ist die Distorsion bei kurzen Brennweiten tonnenförmig, bei langen Brennweiten dagegen kissenförmig.
Verzeichnung kann durch Abblenden weder behoben noch gemildert werden.
Reproduktions- und Vergrößerungsobjektive müssen – ihrem Zweck entsprechend – auf Verzeichnung hervorragend korrigiert sein. Auch bei diesen Objektivtypen gelingt die Korrektur jedoch nur über einen mehr oder weniger beschränkten Bereich des Abbildungsmaßstabs. Ein hervorragendes Vergrößerungsobjektiv kann daher durchaus sehr starke Verzeichnung aufweisen, wenn es beispielsweise mit langen Auszügen an einem Vergrößerungsgerät zum Verkleinern verwendet wird. Das folgende Bildbeispiel (welches heute allerdings kaum mehr praktische Bedeutung hat) zeigt diese Wirkung. Dabei wurde von einem großformatigen Diapositiv ein auf Kleinbildformat verkleinertes Duplikat hergestellt, was einem Verkleinerungsmaßstab von etwa 1:4 entspricht. Um mit demselben Objektiv ein weitgehend unverzeichnetes Resultat zu erhalten, müsste es umgekehrt in Retrostellung (mit der Frontlinse nach innen) im Auszugsbalgen des Vergrößerungsgeräts installiert werden.
Starke Distorsion beim Verkleinern mit ungeeignetem bzw. falsch eingesetztem Objektiv.
Darstellung des Korrekturzustands
Es gelingt den Objektivkonstrukteuren nicht, Objektive zu errechnen, die unter allen Umständen, in jedem Maßstabsbereich und für jeden Verwendungszweck gleich optimale Leistungen erbringen. Er muss in jedem Fall Kompromisse eingehen und den Korrekturzustand seiner Erzeugnisse ganz bestimmten Anwendungsfällen anpassen.
In Abhandlungen und in guten Katalogen der Objektivhersteller wird deshalb der Korrekturzustand eines Objektivs grafisch dargestellt. Drei dieser unterschiedlichen Darstellungsarten wollen wir uns genauer ansehen.
Von Rohr’sche Darstellung
Vorwiegend in älteren Publikationen finden wir den Korrekturzustand nach von Rohr dargestellt. Es handelt sich dabei um eine Kurvendarstellung, die jeweils angibt, um welchen Wert das Objektiv von der theoretischen Idealleistung abweicht. Normalerweise sind die Darstellungen direkt auf ganz bestimmte optische Abbildungsfehler bezogen.
Für die chromatische Aberration zeigt die von Rohr’sche Darstellung Kurven, die mehr oder weniger von einer Ideallinie abweichen und so die Abweichung in Prozent der Brennweite oder in mm für die einzelnen optischen Fehler angeben. Bei einem gut korrigierten Objektiv sollte in dieser Darstellungsart die Kurve möglichst nah an der Nulllinie liegen.
Funktionale Darstellung
Eine modernere Darstellung einzelner Objektivdaten sieht etwas anders aus. Es handelt sich ebenfalls um die grafische Darstellung mit Hilfe einer Funktion, diesmal aber innerhalb eines einzelnen Quadranten aufgezeichnet.
Die Transmissionsdarstellung zeigt die generelle Lichtdurchlässigkeit des gesamten Glaskomplexes für die einzelnen Wellenlängen. Die Darstellung der chromatischen Längsaberration zeigt den Auszugsunterschied in Millimetern für die einzelnen Wellenlängen bei Scharfeinstellung auf Unendlich. Die Stärke der Verzeichnung wird für zwei verschiedene Abbildungsmaßstäbe angegeben. Die Kurve stellt die Funktion zwischen Bildhöhe (angegeben als halber Bildwinkel) und dem Bildgrößenunterschied in Prozent dar. Die Vignettierung (siehe Folge 8) schließlich ist für zwei Blendenwerte angegeben und beinhaltet dadurch auch die Stärke der künstlichen Vignettierung. Die betreffende Funktion zieht Vergleiche zwischen Bildhöhe (als halber Bildwinkel angegeben) und der generellen Helligkeitsverteilung in Prozent.
Funktionale Darstellung des Korrekturzustandes:
Links oben: Transmission, rechts oben: Farblängsfehler
Links unten: Verzeichnung, rechts unten: Vignettierung
Auflösungsvermögen
Die Aufgabe eines Objektivs liegt in der möglichst optimalen Übertragung der Helligkeitsunterschiede eines Originals in diejenigen eines Bildes. Es ist in dieser Beziehung mit einer Hi-Fi-Anlage vergleichbar, deren Aufgabe es ist, ein Musikstück möglichst verlustarm zu verstärken und zum Ohr des Hörers zu übertragen.
Das Objektiv schafft bekanntlich diese Übertragung nicht hundertprozentig, da es mit einer Reihe von Abbildungsfehlern behaftet ist. Bei modernen Objektiven ist es kaum mehr möglich und auch nicht besonders sinnvoll, einzelne optische Fehler in der Übertragung festzustellen oder ein bestimmtes Abbildungsphänomen einem bestimmten optischen Fehler zuzuordnen.
Weil der Begriff «Schärfe» für die meisten Anwender absolute Priorität aufweist, hat man während langer Jahre vom sogenannten Auflösungsvermögen gesprochen. Der Wert sagt aus, wie viele schwarze Linien auf weißem Grund pro Millimeter eines Originals noch abgebildet werden. Testvorlagen zur Ermittlung dieses Auflösungsvermögens in Linienpaaren pro Millimeter sind unter anderen Siemensstern, Schuhmann’sches Sechseck, Balkenmiren usw. Diese Figuren werden in einem bestimmten Abbildungsmaßstab fotografiert und ermöglichen Auflösungsberechnungen mittels Formeln.
Eine typische Testvorlage der Frühzeit ist der Siemensstern, der im Aufsichtsoriginal einen Durchmesser von 16 cm hat. Die einzelnen Strahlen des Sterns laufen im Zentrum spitz zusammen und werden dort durch ein Objektiv nur noch teilweise aufgelöst. Je nach Auflösungsvermögen entsteht im Zentrum eine kreisrunde, diffuse Fläche, deren (messbarer) Durchmesser ein Maß für die Berechnung des Auflösungsvermögens ist.
Solche Tests entsprechen heute jedoch nicht der Praxis bildnerischer Fotografie, wo kaum je so hohe Kontraste fotografiert werden. Die meisten Betrachter beurteilen das Bildresultat eines Objektivs, das zwar viele schwarze Linien abbilden kann, diese aber kontrastarm wiedergibt, schlechter als die Resultate eines Objektivs, das weniger Linienpaare auflöst, diese jedoch ohne Kontrastverluste darstellt.
Modulationsübertragungs-Funktion MTF
Als heute allgemeingültige Angabe für die Schärfeleistung eines Objektivs verbindet man die beiden Werte Linienpaare pro Millimeter und Kontrastübertragung.
Als Testobjekt wird dazu ein fein und präzis in Glas geätztes Strichgitter verwendet. Pro Millimeter sind darauf eine Anzahl schwarzer Balken neben gleich breiten, völlig durchsichtigen Stellen angeordnet. Das Testobjekt wird von hinten mit diffusem Licht bestrahlt, sodass an den dunklen Stellen kein Licht, an den durchsichtigen dagegen alles Licht durchtreten kann. Im Abbildungsbereich hinter dem Objektiv werden dann die Helligkeitsunterschiede mit Hilfe eines Mikrodensitometers gemessen und die Helligkeitsunterschiede der Abbildung in Form einer Kurve dargestellt. Im ersten Moment erwarten wir die Entstehung einer reinen Rechteckkurve. In Tat und Wahrheit entsteht jedoch eine Sinuskurve, das heißt, in den durchsichtigen Strichgitterstellen steigt die Lichtintensität kontinuierlich auf ein Maximum an und fällt gegen den dunklen Streifen hin ab, bis sie in der Mitte des Streifens ein Minimum erreicht.
Sinusförmige Helligkeitsverteilung eines Originals. Die Abbildung zeigt stark vergrössert die sinusförmige Helligkeitsverteilung unmittelbar hinter einem Strichgitter, das pro Millimeter 5 Linienpaare enthält.
Begründet ist diese sinusförmige Helligkeitsverteilung, die nicht nur im Abbildungsbereich des Objektivs, sondern auch unmittelbar hinter dem Gitter gemessen werden kann, durch die Beugung, die infolge der Wellennatur des Lichts an einer Kante entsteht (Folge 5).
Die Anzahl Linienpaare pro Millimeter wird als Ortsfrequenz R bezeichnet.
Die generelle Abbildungsqualität eines optisch abbildenden Mediums lässt sich jetzt wie folgt ermitteln: Man misst die Helligkeitsverteilung einmal unmittelbar hinter dem Testgitter (Objektkurve) ein zweites Mal im Abbildungsbereich des zu testenden Objektivs (Bildkurve). Beide Male entsteht eine entsprechende Sinuskurve der Helligkeitsverteilung. Ist die Abbildungsleistung hervorragend, so gleichen sich die beiden Kurven sehr, das heißt, ihre Amplituden sind annähernd gleich groß. Den Vergleich der Amplitudenhöhe beider Kurven bezeichnen wir als Modulationsübertragungs-Faktor. Er entsteht durch die Division der Amplitudenhöhe y‘ der Bildkurve geteilt durch die Amplitudenhöhe y der Objektkurve. Die folgende Abbildung zeigt schematisch beide Kurven bei der sehr geringen Ortsfrequenz von 5 Linienpaaren pro Millimeter. Im angenommenen Fall sind beide Amplituden gleich groß, der Modulationsübertragungs- Faktor y‘: y beträgt somit 1 oder 100%.
Modulationsübertragung 100%
Je kleiner die Ortsfrequenz, umso höher ist die Chance, dass beide Sinuskurven ähnliche Amplituden aufweisen. Je mehr Linienpaare pro Millimeter ein Testobjekt dagegen aufweist, umso geringer wird die Amplitude der Bildkurve. Im Beispiel der nächsten Abbildung (bei angenommenen 50 Linienpaaren pro Millimeter) ist die Amplitudenhöhe y‘ der Bildkurve nur noch halb so groß wie diejenige der Objektkurve. Der Modulationsübertragungs-Faktor beträgt in diesem Fall nur noch 0,5 oder 50%.
Modulationsübertragung 50%
Eine Funktionskurve, gezeichnet in ein Achsenkreuz als Modulationsübertragungs-Faktor und Ortsfrequenz heißt Modulationsübertragungs-Funktion. Sie gibt üblicherweise für ein Objektiv die Modulationsübertragung für eine ganze Reihe von verschiedenen, für den Verwendungszweck relevanten Ortsfrequenzen an.
Modulationsübertragungs-Funktion
In der Regel wird die Messung für verschiedene Anordnungen des Testobjekts wiederholt. Ist das Testobjekt so angebracht, dass sich die Balken parallel zum Objektiv-Achsradius befinden, sprechen wir von sagittaler Anordnung. Liegen die Balken senkrecht zum Radius, bezeichnet man die Anordnung als tangential.
Tangentiale und sagittale Gitteranordnung
Natürlich ist die Übertragungsleistung eines Objektivs nicht über das gesamte Bildfeld gleich gut. Normalerweise nimmt die Leistung zum Bildrand hin beträchtlich ab. Aus praktischen Gründen sieht daher die funktionale Darstellung der Modulationsübertragungs-Funktion in Veröffentlichungen meistens etwas anders aus. Man wählt dabei nur diejenigen Ortsfrequenzen aus, die praktisch etwas über die sichtbare Qualität aussagen. Normalerweise sind dies die Ortsfrequenzen 10, 20 und 40 Linienpaare pro Millimeter. Höhere Ortsfrequenzen machen keinen Sinn, denn wir betrachten ein Bild ja mit den Augen, und diese besitzen bei normalem Betrachtungsabstand eine Auflösung von nur 5 Linienpaaren pro Millimeter. Eine Ortsfrequenz von 40 setzt daher schon eine achtfache lineare Vergrößerung voraus. Bei noch stärkeren Vergrößerungen ist ja bekanntlich auch der notwendige Betrachtungsabstand weiter, wodurch sich das Auflösungsvermögen des Auges entsprechend verschlechtert.
Bei Veröffentlichungen beschränkt man sich auf die Darstellung der erwähnten Kurvenpaare, je eine Kurve für die tangentiale und eine für die sagittale Objektanordnung. Die Abszisse der Kurvendarstellung wird dadurch frei für die sogenannte Bildhöhe, die angibt, in welchem Teil des Bildkreises die Messung durchgeführt wurde.
MTF-Kurve für ein Vollformat-Kleinbild-Objektiv
Einer Bildhöhe von 0 entspricht die Bildmitte, einer solchen von 20 mm (beim Kleinbild- Vollformat) die Bildecke. Bei Objektiven für die Großformatkamera wird die Bildhöhe als halben Bildwinkel in Grad angegeben.
Selbstverständlich ist die Modulationsübertragung auch noch von der Lichtstärke bzw. der Blendenöffnung abhängig. Deshalb ist jeweils auch eine Angabe der Blendenöffnung notwendig.
Von einem Spitzenobjektiv muss man erwarten, dass es bei einer Ortsfrequenz von 40 Linienpaaren in der Bildmitte noch einen Kontrastübertragungs-Faktor von mindestens 0,5 = 50% erreicht. Von zwei gleichartigen Objektiven ist jenes das Bessere, dessen Modulationsfaktor in der Bildmitte möglichst hoch ist und die Kurven bis möglichst weit in die Bildecken hinein in gleicher Höhe verlaufen. Modulationsübertragungs-Kurven sagen nichts aus über einen einzelnen optischen Abbildungsfehler. Vielmehr wird die Summe aller Fehler dargestellt. Die Kurven eignen sich hervorragend für den schnellen Qualitätsvergleich verschiedener Objektive.
So ganz korrekt ist obige Aussage doch nicht. Wenn nämlich große Differenzen zwischen den Kurven für die sagittale und die tangentiale Gitteranordnung vorliegen, deutet dies klar auf ein astigmatisches Verhalten hin. Betrachten Sie dazu bitte nochmals die MTF- Kurve für ein Kleinbildobjektiv in obiger Abbildung. Hier beginnen die beiden Kurven bereits ab einer Bildhöhe von 5 mm auseinander zu driften. Im Vergleich zu den folgenden Kurven mit den beiden Objektiven für Großformatkameras schneidet das dargestellte Kleinbildobjektiv 1:1,4/50 mm bezüglich Astigmatismus und Bildfeldwölbung deutlich schlechter ab.
MTF-Kurve für zwei verschiedene Blendenwerte eines Großformatobjektivs
Die Großformatobjektive weisen im Vergleich zu Kleinbildobjektiven bedeutend größere Bildwinkel auf (üblicherweise 70°). Wir erkennen in den Kurvenbildern, dass mit diesen Großformatobjektiven bei vollständiger Grenzausnützung des Bildwinkels gegen die Bildecken zu mit deutlichen Qualitätsabfällen zu rechnen ist. Beachten Sie aber, dass je nach Negativformat in der Großbildkamera nur ein relativ geringer Teil des Bildwinkels benötigt wird, sofern die Objektivstandarte der Kamera nicht geschwenkt wird und auch keine direkte oder indirekte Verschiebung vorgenommen wird. Im Gegensatz dazu wird der Bildwinkel beim Kleinbildobjektiv immer vollständig für die Aufnahme ausgenützt.
Bei den hier mittels MTF-Kurven dargestellten Objektiven handelt es sich übrigens um aktuelle, moderne Handelstypen und nicht etwa um historische Objektive! Der Bau eines Objektivs ist nach wie vor eine hochkomplizierte Angelegenheit. Es ist nicht möglich, Objektive zu rechnen und zu bauen, die in jedem Abbildungsmaßstab, bei jeder Brennweiteneinstellung und bei jedem Kameraauszug gleich gute Bildresultate erzeugen.
Hinweis MTF-Meter: Prüfeinrichtungen für Objektive sind auf dem Prinzip der optischen Bank aufgebaut. Die zu prüfenden Objektive müssen dabei auf den sehr stabilen Reitern der optischen Bank mit allerhöchster Präzision montiert werden (Auflagemass im Tausendstel-Millimeter-Bereich). Gemessen wird das vom Objektiv im betreffenden Abbildungsmaßstab entworfene Luftbild. Da wir mit den Objektiven jedoch auf Film oder Sensor belichten und unsere Kameras nicht auf tonnenschweren Stativen verankert sind, erreichen wir in der Praxis die für uns theoretischen Werte einer MTF-Kurve in keinem Fall. Die Kurvenwerte können daher nur zum Qualitätsvergleich dienlich sein.
Text und Abbildungen © by Jost J. Marchesi
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