OPTIK Lektion 7

Objektiv – das Auge der Kamera

Das Objektiv ist das Auge unserer Kamera. Weshalb braucht es ein Objektiv? Welche Arten von Objektiven gibt es? Wie sind diese aufgebaut, und wie kann man ihre Eigenschaften kreativ nutzen?

Tilt- und Shift-Objektive ermöglichen eine subtile Schärfensteuerung. In unserem Titelbild wurde die Schärfe genau auf die erste Reihe der Spielfiguren begrenzt.

Bereits in Folge 4 haben wir uns mit der Funktion und damit der Hauptaufgabe des Objektivs auseinandergesetzt. Dabei sind wir zu einem ebenso einfachen wie grundsätzlichen Schluss gekommen: Um im Vergleich mit einer Lochkamera die Belichtungsöffnung und dadurch die Lichtstärke des Aufnahmesystems massiv zu vergrößern und trotzdem eine punktscharfe Abbildung zu erhalten, benötigen wir ein optisch sammelndes System. Punkt. Das ist und bleibt die wirklich einzigste Aufgabe eines Objektivs!

 

Die Lichtstärke
Von zwei Linsen, die sich bei gleicher Brennweite in ihrem Linsendurchmesser unterscheiden, nimmt diejenige mit dem größeren Durchmesser mehr Licht auf als diejenige mit dem kleineren Durchmesser. Die größere Linse ist daher lichtstärker.

Verhalten sich die Durchmesser zweier Linsen wie 1:2, so fällt auf die doppelt so große Linse viermal mehr Licht, die Belichtungszeit braucht daher unter sonst gleichen Verhältnissen nur den vierten Teil zu betragen.

Lichtstärke von Objektiven

Der Durchmesser allein aber sagt noch nichts über die Lichtstärke aus, er muss noch
in Beziehung mit der Brennweite gebracht werden. Hätte nämlich die doppelt so große Linse auch die doppelte Brennweite, würde sie linear doppelt so große Bilder, das heißt Bilder mit der vierfachen Fläche, liefern. Die durch den doppelten Durchmesser bedingte vierfache Lichtmenge würde sich dann auf eine viermal größere Fläche verteilen. Die Lichtleistung und damit die Belichtungszeit würden bei beiden Linsen gleich bleiben.

Lichtstärkenverhältnis

Den Winkel, der das konvergierende Bündel zwischen Brennpunkt und Linsenfläche begrenzt (2δ) bezeichnet man als doppelten Öffnungswinkel. Seine Größe ist abhängig vom Linsenradius und von der Brennweite f. Er lässt sich aus Linsenradius d/2 und Brennweite f als Winkelfunktion gemäss folgender Formel berechnen.

 

 

Da der Öffnungswinkel eine direkte Funktion aus Linsenradius und Brennweite darstellt, kann man sagen, die Lichtstärke eines Objektivs sei proportional zum Öffnungswinkel. Linsen mit demselben Öffnungswinkel besitzen deshalb unabhängig von ihrer Brennweite die gleiche Lichtstärke.

Objektive mit demselben Öffnungswinkel haben die gleiche Lichtstärke

 

Blenden und Pupillen
Bei einem Objektiv ist nicht der eigentliche Linsendurchmesser für die Lichtstärke verantwortlich. Neben Fassungsteilen ist in einem Objektiv normalerweise eine Blende eingebaut. Blenden sind strahlenbegrenzende Teile, senkrecht auf der optischen Achse stehend. Sie erlauben die Größe des einfallenden Lichtstrahlbündels zu begrenzen und damit die Bildhelligkeit in bestimmten Grenzen zu regulieren. In der Optik bezeichnet man eine solche Blende als Öffnungsblende oder Aperturblende. Ihre Größe und ihre Lage bestimmen die wirksame Öffnung des optischen Systems.

Blenden und Pupillen

Normalerweise befindet sich die Blende innerhalb des optischen Systems. Vorder- und Hinterglieder des Objektivs entwerfen von der Blende je ein scheinbares Bild, das nach Ernst Abbe (1840 bis 1905) Pupille genannt wird. Die Blendengröße, die visuell ersichtlich ist, stimmt nicht mit dem effektiven Blendendurchmesser überein. Blickt man von vorne in ein Objektiv, erkennt man das vom Vorderglied des Objektivs entworfene Blendenbild, die sogenannte Eintrittspupille. Die Eintrittspupille stellt gleichzeitig die wirksame Öffnung eines Objektivs dar.

Das vom Hinterglied entworfene Bild der Blende heisst Austrittspupille. Die Austrittspupille bildet die Grundfläche des aus dem Objektiv austretenden Lichtbündels mit dem Konvergenzpunkt in der Bildebene. Je nach Aufbau von Vorder- und Hinterglied kann der Durchmesser von Eintritts- und Austrittspupille sehr unterschiedlich erscheinen. Eintritts- und Austrittspupille sind nur dann gleich gross, wenn es sich um ein vollkommen symmetrisch aufgebautes Objektiv handelt.


Lichtstärke
Bei einem fotografischen Objektiv wird die Lichtstärke, die proportional zum Öffnungswinkel ist, als relative Öffnung bezeichnet. Unter relativer Öffnung versteht man das Verhältnis des Durchmessers des gegenstandseitig achsenparallel in das Objektiv eintretenden und von ihm gerade noch durchgelassenen Strahlenbündels (Durchmesser der wirksamen Blendenöffnung bzw. Eintrittspupille) zu seiner Brennweite:

Die relative Öffnung, auch Öffnungsverhältnis genannt, ist eine der wichtigen Hauptkenngrößen eines Objektivs. Sie wird immer als Verhältnis zwischen Eintrittspupille und Brennweite angegeben.

Beispiel
Durchmesser Eintrittspupille d = 25 mm Brennweite f = 50 mm
Relative Öffnung = d : f = 25 : 50 = 1 : 2


Die Blendenzahl k
Die Blendenzahl k (auch f-Blende, f-Zahl oder f-stop genannt) ist der Kehrwert der relativen Öffnung. Sie dient als Maßzahl zur Bezeichnung der geometrischen Größe des Lichtdurchlasses des Objektivs und ist eine rein mechanische Verhältnisgröße. Eigentlich stellt sie nur eine Kommunikationsvereinfachung dar. Wir sagen, wir hätten eine Aufnahme mit «Blende 11 gemacht», und meinen damit, dass sich das Verhältnis zwischen Lichteinfallöffnung (Eintrittspupille) und Brennweite wie 1 : 11 verhalten habe.

Die Blendenzahl k ist der Reziprokwert (Kehrwert) der relativen Öffnung und errechnet sich aus Brennweite geteilt durch wirksame Blendenöffnung (Eintrittspupille). Relative Öffnung sei 1 : 2; dann ist die Blendenzahl k = 2

Je grösser die Blendenzahl, umso kleiner ist die relative Öffnung.

 

Objektivtypen
Weil ein sammelndes optisches System aus nur einer oder weniger Linsen viele optische Abbildungsfehler aufweisen, die sich oft gegenseitig beeinflussen und die es zu korrigieren gilt, ist das moderne Objektiv ein kompliziertes Gebilde aus einzelnen Linsen, der Fassung, einem Blendenmechanismus und vielen mechanischen, elektromechanischen und elektronischen Steuerelementen, dem ein großer Forschungsaufwand zugrunde liegt und das mit äußerster Präzision gefertigt werden muss.


Objektivaufbau
Liest man die technischen Daten in einem Objektiv-Prospekt, so fallen Bezeichnungen wie «Gruppen» und «Linsen» auf. Unter einer Gruppe (gelegentlich spricht man auch
von «Gliedern») versteht man entweder eine Einzellinse oder zwei und mehr Einzellinsen, die zusammengekittet sind und nach außen wie eine einzige wirken. So besteht zum Beispiel der bei Kleinbild-Spiegelreflexkameras als Normalobjektiv verwendete Typus des 50-mm-Objektivs mit einer Lichtstärke von 1 : 1,4 (Planar-Typ) meistens aus 7 Linsen in 5 bis 6 Gruppen.

Die Anzahl der Gruppen hängt vom Objektivtypus ab. So haben lichtstarke Objektive, solche mit großen Aufnahmewinkeln und Objektive mit variabler Brennweite eine größere Anzahl von Gruppen. Die Vielzahl all der im Objektiv verwendeten Linsen aus den unterschiedlichsten Glassorten ermöglicht die verlangte hohe Abbildungsqualität.

7 Linsen in 5 Gruppen (Planar-Typ)

Für den Objektivbau werden von den vielen Glassorten über 200 verschiedene verwendet. Die Forschung und Entwicklung von optischem Glas ist fest mit den deutschen Firmen Jenaer Glas, Leitz Wetzlar, Schott Glas und Zeiss verbunden, welche die für den Objektivbau wichtigsten Entwicklungen gemacht haben und noch machen. Der weltweit größte Hersteller von optischem Glas ist Schott. Vermutlich stammen die meisten Gläser in ihren Objektiven – gleich welcher Provenienz – von diesem deutschen Hersteller.

Versuchsschmelzen im Glaslaboratorium von Leitz

Die Linsenkombinationen bei Objektiven mit gleicher Zweckbestimmung sind sich – trotz unzähliger Kombinationen von Sammel- und Zerstreuungslinsen mit den unterschiedlichsten Glaszusammensetzungen – ziemlich ähnlich. Diese Tatsache erlaubt eine vernünftige Klassifizierung der Objektivtypen.

Die meisten modernen Objektive gehören dem Typus des Triplets oder des Gauss-Typs an. Unter einem Triplet verstand man ursprünglich ein dreilinsiges Objektiv, aus dem bald einmal das vierlinsige Triplet (Tessar) entstand, ein universell eingesetztes Objektiv aus vier Linsen in drei Gruppen.

links: Urtyp des Triplets (Cooke-Lens), rechts: Vierlinsiges Triplet (Tessar)

Diesen Objektivtyp findet man heute vorwiegend in einfachen Sucherkameras. Auch hochlichtstarke, moderne Objektive bei Spiegelreflexkameras bezeichnet man als Triplete, wenn ihre 6, 7 oder mehr Linsen in drei Gruppen aufgeteilt sind.

Modernes Triplet mit 3 Gruppen

Ein anderer Objektivtyp, der wegen seiner ursprünglichen Ähnlichkeit mit dem Schnitt eines terrestrischen Fernrohres von Gauss als Gauss-Typ bezeichnet wird, findet in seiner modernen Form sowohl als hochlichtstarkes Objektiv mit relativ geringem Bildwinkel bei Kleinbildkameras als auch mit großem Bildwinkel und dafür geringerer Lichtstärke bei Großformatkameras Einsatz. Sind die Linsenkombinationen vor und hinter der Blende gleich (oder zumindest sehr ähnlich), spricht man von symmetrischen Objektiven; ist die Kombination unterschiedlich, handelt es sich um unsymmetrische Objektive.

Lichtstarker Gauss-Typ (Planar)


Spezielle Objektive
In der vorgängig erläuterten Klassifizierung sind tatsächlich alle normalen Objektivtypen enthalten, wie sie – obwohl bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Leitz und Zeiss entwickelt – heute von allen Herstellern in ihrem prinzipiellen Aufbau gefertigt werden. Selbstverständlich sind die Glassorten und die Krümmungsradien (teilweise mit asphärischen Linsen) im Laufe der Zeit verändert und angepasst worden, um den immer höheren Qualitätsansprüchen (insbesonders derjenigen innerhalb der hochauflösenden Digitalfotografie) gerecht zu werden. Obwohl der Schnitt moderner Objektive noch ähnlich aussieht wie im letzten Jahrhundert, sind sie den alten Typen aus der analogen Fotografie zum Teil extrem weit überlegen – auch im Preis.

In der Klassifizierung fehlen nur noch folgende Spezialkonstruktionen:

Retrofokale Weitwinkelobjektive
Die für die Weitwinkelobjektive übliche Forderung nach kurzer Brennweite und möglichst geringem Lichtabfall (künstliche Vignettierung durch die Fassung bei offener Blende) genügt beim Einsatz in Spiegelreflexkameras nicht. Man musste mit der Einführung der Spiegelreflexkameras daher nach einer neuen Konstruktionsart suchen, bei der die Distanz zwischen der Hinterlinse und dem Brennpunkt (Schnittweite) erheblich größer als die Brennweite ist, um dem Schwingspiegel genügend Platz zu belassen. Die Vergrößerung der Schnittweite erreichte man durch streuende Vorderglieder und sammelnde Hinterglieder. Die Weitwinkelobjektive für Kleinbild-Spiegelreflexkameras mit Brennweiten von 28 mm und kürzer müssen retrofokal gebaut sein. Bei den Objektiven für Mittelformat-Spiegelreflexkameras trifft dies bei Brennweiten von 60 mm und kürzer zu.

Prinzip der Retrofokus-Konstruktion mit verlängerter Schnittweite s‘


Fisheye-Objektive
Frontlinsen aus Menisken mit halbkugeligen Innenflächen gestatten die Konstruktion von Fisheye-Objektiven mit Bildwinkeln von 180° und mehr. Dabei wird eine Hohlkugel in einer Ebene abgebildet und nicht wie gewöhnlich eine Gegenstandsebene in einer Bildebene (Zentralperspektive). Fisheye-Objektive sind Retrofokus-Objektive mit einem streuenden Eingangssystem vor einem sammelnden Hinterlinsenglied.

Schnitt durch ein Fisheye-Objektiv

Bei Fisheye-Objektiven sind – abhängig von der Konstruktionsart – im Wesentlichen zwei verschiedene Darstellungsarten möglich:

Orthographische Projektion
Das Bild sieht aus wie auf eine Kugel projiziert. Bei dieser Projektion erfolgt gegen den Bildrand eine starke Stauchung der Szene, was den typischen Fisheye-Effekt bewirkt.

Aufnahme mit einem Fisheye-Objektiv 8 mm


Äquidistante Projektion

Bei dieser Projektion werden gleiche Feldwinkeldifferenzen im Gegenstandsraum mit demselben Abstand im Bildraum dargestellt. Dadurch werden Bildwinkel von mehr als 180° möglich.

 

links: Orthografische Projektion, rechts: Äquidistante Projektion

Die Verzeichnung nimmt bei Fisheye-Objektiven derart extreme Werte an, dass man auf eine optische Korrektur verzichtet.

Mit etwas längeren Brennweiten (um 15 mm) sind retrofokale Weitwinkelobjektive mit einem Bildwinkel von gegen 180° möglich, die das ganze Kleinbildformat auszeichnen. Wenn die extreme Verzeichnung nicht korrigiert oder gemildert ist, besitzen diese Typen ebenfalls eine Fisheye-Charakteristik. Daneben existieren sogenannte Super- Weitwinkelobjektive mit Brennweiten ab 13 mm (Bildwinkel etwa 120°), bei denen die Verzeichnung weitgehend korrigiert ist und die dadurch keine Fisheye-Charakteristik aufweisen.

links: Super-Weitwinkel mit unkorrigierter Verzeichnung rechts: Super-Weitwinkel mit korrigierter Verzeichnung

Mit dem Nikkor Fisheye-Varioobjektiv wechseln Sie einfach von der kreisförmigen Perspektive bei 8 mm zur Vollbilddarstellung (15 mm).

 

Teleobjektive und Telekonverter
Moderne Teleobjektive basieren entweder auf Triplet-Konstruktionen mit einem nach relativ langem Luftabstand angeordneten Telenegativ, oder es sind sogenannte Gauss- Teletypen. Beim Gauss-Teletyp ähnelt der vor der Blende angeordnete Systemteil in seinem Aufbau der vorderen Hälfte eines modifizierten Gauss-Doppelanastigmaten, während das Hinterglied eine zerstreuende Kombination ist, die ihrerseits auch weitgehend farbkorrigiert ist.

Die hintere Zerstreuungseinheit, das «Telenegativ», bewirkt eine Verkleinerung der Schnittlänge, so dass Teleobjektive gegenüber Normalkonstruktionen gleicher Brennweite um einen Drittel kürzer gebaut werden können. Merke: Nicht jedes Objektiv langer Brennweite ist demnach ein Teleobjektiv!

Teleobjektiv Leitz Telyt 1:4/200 mm


Telekonverter
Konverter sind mehrlinsige korrigierte «Telenegative», die, hinter ein Normalobjektiv gesetzt, dessen Brennweite vergrößern. Bekannt sind vorwiegend Zweifachkonverter, welche die Brennweite verdoppeln, gleichzeitig aber die Lichtstärke entsprechend verringern. Sofern ein Konverter für ein bestimmtes Objektiv oder einen bestimmten Objektivtypus gerechnet ist, lassen sich damit brauchbare Resultate (ähnlich einem Teleobjektiv) erzielen. Wie bei diesen ist immer mit einer mehr oder weniger starken Verzeichnung zu rechnen.

Vario-Objektive
Objektive mit veränderbarer Brennweite werden als pankratische Objektive bezeichnet. Bei den pankratischen Objektiven unterscheidet man zwei Grundkonstruktionen:

Variofokaltypen
Bei diesen Typen («Dreh-Zoom») muss die Schärfe nach einer Brennweitenveränderung nachgestellt werden. Im Prinzip wird für die Brennweitenverstellung das Vorderglied gegenüber dem Hinterglied verschoben. Als früheste Vario-Fokalobjektive gelten die Telinear-Objektive von Rietzschel welche ab 1914 auf den Markt kamen.

Zoomlinsentypen
Bei diesen moderneren Vario-Objektivtypen («Schiebezoom») ist ein Nachstellen der Schärfe nach einer Brennweitenveränderung nicht notwendig. Das ist während der Arbeit sehr praktisch, weist aber auch qualitative Nachteile auf. So ist die Maximalöffnung durch diejenige der maximalen Brennweite begrenzt; die Zoomlinsentypen sind anfällig auf Verzeichnung und Streulicht, da die Objektive aus sehr vielen Einzellinsen aufgebaut sind. Beim Zoomlinsentyp werden zur Änderung der Brennweite Mittelglieder verschoben, während sich andere Linsenglieder automatisch bewegen und so für die Erhaltung der bereits eingestellten Schärfe und der Blende über den gesamten Brennweitenbereich sorgen.

Schnitt durch ein Vario-Objektiv (Zoomlinsentyp)

Vario-Objektive werden vielfach als Zoomobjektive bezeichnet, wobei kaum jemand weiss, woher dieser Name kommt. Es ist ganz ähnlich wie beim Begriff Nescafé, der für jedes lösliche Kaffeekonzentrat verwendet wird. Zoomobjektive, bei denen die Schärfe nicht nachkorrigiert werden müssen, gehen auf den französischen Hersteller Angénieux zurück, der ein erstes derartiges Objektiv 1956 auf den Markt brachte.


Floating Elements
Die Korrektur optischer Abbildungsfehler stellt praktisch immer eine Kompromisslösung dar. Vor allem die effiziente Korrektur der Verzeichnung, der sphärischen Aberration und der Bildfeldwölbung gelingt bei gleichzeitig lichtstarken Objektiven in der Regel nur auf ganz bestimmte Aufnahmedistanzen bzw. Abbildungsmaßstäbe. Man konstruiert ein Objektiv daher so, dass die Korrektur für die meist benötigte Aufnahmedistanz optimal ist und für die daran angrenzenden wenigstens weitgehend brauchbar.

Floating-Elements

Besonders kompliziert wird es bei Retrofokus-Konstruktionen lichtstarker Weitwinkelobjektive. Hier tritt – sofern das Objektiv auf Unendlich korrigiert ist – im relativen Nahbereich eine beträchtliche Bildfeldwölbung auf, die zu unscharfer Abbildung der Bildränder führt. Lösbar ist das Problem mit sogenannten «Floating Elements». Darunter ist eine Konstruktion zu verstehen, bei der durch die Scharfeinstellung nicht nur der Auszug verändert wird, sondern innerhalb des Objektivs auch gleichzeitig bestimmte optische Glieder gegeneinander verschoben werden, um so für jede Aufnahmedistanz den günstigsten Kompromiss zu erzielen.


Image Stabilizer
Mit den Image-Stabilizer-Systemobjektiven (ursprünglich von Canon und später auch von anderen Herstellern) gehört das ungewollte Verwackeln einer Aufnahme der Vergangenheit an. Die IS-Objektive sind mit einer optischen Bildstabilisierung ausgerüstet, wie man dies anfänglich von der Video- und Fernglastechnik her kennt. Die optische Bildstabilisierung ermöglicht ohne Verwackelungsgefahr längere Verschlusszeiten ohne Einsatz von Stativen.

Zwei Sensoren im Objektiv (Gyrosensoren) registrieren die geringste Bewegungsabweichung und senden die entsprechenden Signale an einen meistens im Objektiv direkt eingebauten Microprozessor. Diese winzigen Sensoren, können – auf dem Funktionsprinzip eines Kreisels – die Kamerabewegungen um die horizontale und vertikale Achse registrieren. Gyroskope werden beispielsweise auch in Raketen oder in Navigationssystemen von Flugzeugen eingesetzt. Die Messdaten werden von einem Spezial-Chip im Objektiv erfasst und von einem Signalverarbeitungsprozessor (direkt im Objektiv oder in der Kamera) analysiert. Sobald dieser erkennt, in welche Richtung(en) sich das Objektiv bewegt, wird eine IS-Linsengruppe – vereinfacht ausgedrückt – in die entgegengesetzte Richtung verschoben, um so einen erheblichen Teil der unerwünschten Bewegungen auszugleichen.

IS-Linsengruppe bei unbewegter Kamera

Erkennung der Kamerabewegung

Korrektur durch die IS-Linsengruppe

Image Stabilizer Parallelverschiebungsprinzip: Die Kamerabewegung wird durch die Gyrosensoren erkannt und mit der entsprechenden Bewegung der IS-Linsengruppe ausgeglichen.

Die Firma Sony (vorgängig Minolta) ging als erste mit ihrem Bildstabilisator bei Digitalkameras einen anderen Weg. Hier ist der Bildempfangs-Chip selbst das ausgleichende Element. Dazu war der Chip ursprünglich radial zur optischen Achse verschiebbar gelagert und wurde – wenn die Gyrosensoren eine Abweichung festgestellt haben – von zwei Piezomotoren innerhalb des Bildkreises ausgleichend bewegt.

Ursprüngliches Prinzip Super Steady Shot von Sony

Moderne Systeme (sowohl im Objektiv wie auch beim Chip-IS) korrigieren nicht nur das eigentliche Verwackeln (Kippbewegung der Kamera nach oben/unten sowie links/rechts) sondern auch Verschiebebewegungen in X- und Y-Richtung.

Mit Chip-Systemen ist zusätzlich noch eine Korrektur der Rotation möglich, welche nicht vom Objektiv ausgeglichen werden kann.

Bildsensor-Stabilisation von Sony mit 5 unterschiedlichen Achsen:
1 und 2 Kippbewegungen Pitch und Yaw
3 und 4 Verschiebebewegung in X- und Y-Richtung
5 Rotationskorrektur

Ein Sensor-Bildstabilisations-System arbeitet unabhängig von der Brennweite des verwendeten Objektivs. Die Stärke der Ablenkung hängt jedoch auch von der Objektivbrennweite ab. Je kürzer die Brennweite, umso geringere Korrekturen sind notwendig. Bei sehr langbrennweitigen Objektiven (300 mm) ist es gerade umgekehrt.
Diese benötigen stärkere Korrekturen, wie sie oft von den Sensor-Stabilisatoren nicht genügend vorgenommen werden können. Diese Tatsache lässt sich lösen, indem für die betreffenden langen Brennweiten das im Objektiv eingebaute IS-System verwendet und der Sensor-IS automatisch ausgeschaltet wird. Es gibt aber einzelne Kameras von Olympus, Panasonic und Sony, welche in diesem Fall den Stabilisator im Kameragehäuse nicht ausschalten, sondern diesen zusammen mit dem Objektiv-IS koordinieren. Diese sehr effizienten hybride Bildstabilisation wird dann oft als Dual-IS bezeichnet.

Die Bildstabilisierung lässt sich natürlich ausschalten. Dies ist dann angezeigt, wenn man mit Stativ arbeitet, eine schnelle Bewegung «eingefroren» werden soll oder wenn man für sehr schnell bewegte Objekte die Kamera «mitzieht», um das Objekt vor verwischtem Hintergrund scharf darzustellen. In allen anderen Fällen – besonders bei relativ langen Belichtungszeiten – kann ein perfektes Stabilisiersystem äußerst hilfreich sein.

 

Tilt- und Shift-Objektive
Normalerweise steht das Objektiv parallel zur Filmebene und die optische Achse zeigt genau auf die Mitte des Filmnegativs oder des Bildempfangs-Chips. Bei sogenannten Tilt- und Shift-Objektiven – die manchmal auch als PC-Objektive (Perspective Correctur) bezeichnet werden – lässt sich die optische Achse bezüglich Filmebene schieben und neigen. Dadurch erhält die Kleinbildkamera gewisse eingeschränkte Funktionen, wie sie an einer großformatigen Fachkamera üblich sind.

Schwenken (tilt) und verschieben (shift)

Die Tilt- und Shift-Funktionen erweitern das Anwendungsgebiet der Kleinbildkamera erheblich, sind mit diesen Objektiven doch auch Architekturaufnahmen ohne stürzende Linien, Perspektivkorrekturen und sogar Schärfedehnungen nach dem Scheimpflugschen Gesetz (siehe Folge 5) möglich.

Verschiedene Einsatzmöglichkeiten mit Tilt- und Shift-Objektiven: Spiegelaufnahmen ohne Abbildung des Fotografen, zwei Teilaufnahmen eines Gebäudes, die später zusammenmontiert werden (Splitting), unzugängliches Objekt und vieles mehr.

Schärfeausgleich über eine schief liegende Ebene bei einem Architekturmodell. Bei entsprechender Schwenkung des Objektivs ist die Schärfe bereits bei offener Blende über diese Ebene ausgeglichen. Die Filmebene bleibt senkrecht, wodurch die Senkrechten der Gebäude es ebenfalls bleiben (keine stürzenden Linien). Mit zunehmender Abblendung wächst die Schärfe keilförmig über und unter die Einstellebene, wodurch schließlich das gesamte Modell innerhalb des Schärferaums liegt.

Um diese Funktionen zu ermöglichen, muss der scharf ausgezeichnete Bildkreis deutlich größer sein als die Diagonale des Aufnahmeformats. Das heißt, der Bildwinkel des Objektivs muss möglichst groß sein.

Maximal verstelltes Objektiv (Shiftweg: 11 mm

Die von mir verwendeten Canon-Objektive TS-E mit 24, 45 und 90 mm Brennweite zeichnen einen Bildkreis mit einem Durchmesser von 58,6 mm aus. Im Kleinbild-Aufnahmeformat ermöglichen sie dadurch eine maximale Verschiebung von 11 mm und eine Schwenkung von 8°. Im Vergleich zu einer großformatigen Fachkamera 4 x 5 inch klingen diese Werte beschämend klein. Vergleicht man jedoch die Verhältnisse Aufnahmeformate
und Brennweiten, kann eine Schwenkung von «nur» 8° beim 24-mm-Objektiv doch immerhin einer Schwenkung bei der Großformatkamera mit 100-mm- Objektiv von rund 35° entsprechen!

 

Praxisbeispiel mit der Shift-Funktion

Um das gesamte Gebäude zu erfassen, musste die Kamera schräg gegen oben gerichtet werden. Es entstehen «stürzende Linien».

Steht die Kamera absolut im Lot, wird das Gebäude oben angeschnitten.

Die Kamera steht im Lot, und das Shiftobjektiv ist maximal gegen oben verstellt. Die Senkrechten des Gebäudes bleiben senkrecht. Die Aufnahme sieht so aus, als wäre sie mit einer Fachkamera gemacht.

Verbreitet ist der Einsatz von kurzbrennweitigen Shift-Objektiven (es gibt auch solche, welche keine Tilt-Funktion haben) bei Architekturaufnahmen. Die Bildserie oben demonstriert die Möglichkeiten.

Canon TS-E Objektive lassen Schwenkungen bis 8° zu.

Ist das Objektiv auch mit einer Schwenkeinrichtung versehen, kann man zusätzlich eine Schärfedehnung gemäss Scheimpflug‘scher Regel einsetzen. Die folgenden Demonstrationsaufnahmen mit den Spielwürfeln zeigt die entsprechende Wirkung. Das erste Bild ist mit Blende 5,6 entstanden, die Scharfeinstellung erfolgte auf die erste Würfelreihe. Bei der zweiten Aufnahme erfolgte eine Schärfendehnung durch korrekte Schwenkung und die dritte Aufnahme zeigt die Reduzierung der Schärfentiefe durch bewusste Gegenschwenkung («Anti-Scheimpflug»).

Praxisbeispiel mit der Tilt-Funktion

Aufnahme mit unverstelltem Objektiv (Blende 5,6)

Anwendung der Scheimpflug’schen Regel (Blende 11)

Reduzierung der Schärfentiefe durch entgegengesetzte Schwenkung (Blende 5,6)

Text und Abbildungen © by Jost J. Marchesi
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Veröffentlicht unter Repetitorien, Repetitorium OPTIK
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